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Herr Kühl-Lenjer, mit dem Begriff Schule verbinden viele Menschen: pauken, büffeln, bimsen und Druck. Lernen ist – so scheint es – für viele Menschen ein unangenehmer Vorgang . . .
Das ist verständlich und kann mehrere Gründe haben. Jeder hat die Erfahrung gemacht, dass Lernen oft mühsam ist, das eine Fach liegt einem, das andere nicht. Hinzu kommt, dass häufig nur Zahlen, Daten und Fakten vermittelt werden, das Verständnis bleibt auf der Strecke. Zahlen, Daten und Fakten müssen eingebettet werden in die Ereignisse, Tatsachen und Zusammenhänge, zu denen sie gehören.
Das heißt, man muss Fakten in Kontexte stellen?
Genau. Wir haben Geschichtszahlen gelernt, können mathematische Formeln aufsagen und grammatische Regeln wiederzugeben. Mithilfe verschiedener Lerntechniken ist uns das gelungen.
Die Frage ist nur, haben wir das alles auch verstanden oder fristet es als totes Wissen ein kümmerliches Dasein in unserem Oberstübchen? Hirnforscher haben nachgewiesen, dass unser Denkorgan faktenorientierte Wissensbrocken kaum verwerten kann. Denn vieles von dem, was so unterrichtet wurde, vergessen wir.
Was heißt das für das Lehren und Lernen?
Wer etwas gelernt hat, kann das auch verlernen. Wenn man aber etwas verstanden hat, kann man es nicht „ent-verstehen“. Um Lernstoff zu verstehen, sollten die Inhalte aktiv erarbeitet, hinterfragt und das daraus gewonnene Wissen angewendet werden. Wer etwas verstanden hat, kann Dinge verändern, Ursache und Wirkung unterscheiden, Querverweise nutzen, Neues erschaffen und lebenslang verankern.
Was haben Sie als Lehrer über das Lernen gelernt?
Als Referendar unterrichtete ich Biologie und Deutsch an einem Berliner Gymnasium. Ich betreute in Biologie zwei neunte Klassen parallel. Das war eine unerwartete Gelegenheit, unterschiedliche Konzepte auszuprobieren! Thema war die Entwicklung der Insekten.
Die eine Klasse unterrichtete ich mit Tafel, Karten, Büchern, Abbildungen. Die andere Gruppe lernte anhand lebendiger Naturobjekte. Ich brachte Insekteneier, Raupen, Larven, Maden, Puppen sowie Falter, Fliegen und Käfer mit. Ich wollte untersuchen, welcher Unterricht lernwirksamer ist. Ein Abschlusstest gab Auskunft . . .
...und die Klasse mit den lebenden Tieren hat besser abgeschnitten?
Das vermuten viele, aber die Antwort ist falsch. Denn Lehrmittel sind so gestaltet, dass sie das, worauf es ankommt, hervorheben. Bei lebenden Objekten fällt es meistens schwer, Gestalt und Funktionsweise des Lebewesens zu erkennen. In dem Test hatte ich auch gefragt, inwiefern der Unterricht Spaß gemacht hat. Die Schulung mit Naturobjekten erhielt uneingeschränkte Bestnoten.
Sie schreiben von „gehirngerechter Weiterbildung“. Was ist gemeint?
Für mich ist es faszinierend zu erkennen, zu welchen Höchstleitungen unser Hirn in der Lage ist. Bei Seminaren muss ich didaktische und methodische Entscheidungen treffen. Während die Didaktik nach dem Was fragt und Lerninhalte festlegt, schreibt die Methodik vor, wie die Lerninhalte dargeboten werden. Vereinfacht gesagt versucht die Neurodidaktik das Lernen so zu gestalten, wie es unser Gehirn am besten kann. Neurodidaktik ist keine Modeerscheinung. Neue Ansätze aus der Hirnforschung können Lernprozesse wirksam erweitern und das Lernen effektiver sowie nachhaltiger gestalten.
Gefühle spielen eine wesentliche Rolle im Leben. Inwiefern beeinflussen Emotionen den Lernprozess?
Der Herzschrittmacher für das Lernen ist die Einbettung der Inhalte in positive Emotionen. Der Glaube, der Mensch würde in erster Linie rational und vernünftig entscheiden, ist in der Mottenkiste gesammelter Irrtümer gelandet. Jeder Impuls, der durch unsere fünf Sinne, also sehen, hören, fühlen, riechen und schmecken, in unser Gehirn gelangt, erhält zunächst eine emotionale Färbung. Wir können nicht fühlen. Lerninhalte können im Gehirn nur gespeichert werden, wenn sie unter die Haut gehen.
Immer mehr Bildungseinrichtungen und auch Unternehmen haben sich darauf einstellt, dass sich die Altersstruktur stark verändert. Was heißt das für das Lernen?
„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr!“ Diese Weisheit hat ausgedient. Schon lange wissen wir: Auch im Alter sprießen noch Nervenzellen, wenn man den Geist nicht aufgibt. Denn das Gehirn ist aufgrund seiner hohen Veränderbarkeit in der Lage, lebenslang zu lernen.
Ältere Menschen lernen zwar langsamer, können aber neues Wissen mit bestehendem verknüpfen. Jüngere können vom Wissen und Erfahrungsschatz der älteren profitieren. Für ein gelingendes Miteinander von Jung und Alt ist es erforderlich, dass grundsätzlich eine Atmosphäre der Offenheit und Wertschätzung existiert. Ein Bonmot lautet: Jüngere sind zwar schneller, aber Ältere kennen die Abkürzung.
Ein Ratschlag lautet, man solle sich nachts das Lehrbuch unter das Kopfkissen legen, damit der Stoff in das Gehirn gelangt. Ist da etwas dran?
Ja. Auch wenn man am Morgen danach enttäuscht bemerkt, dass das Buch unter dem Kopfkissen Sie nicht schlauer gemacht hat, weist der Ratschlag in die richtige Richtung. Denn während wir schlafen, ist unser Gehirn aktiv. Schlafen macht schlau. Nachts wird Gelerntes in das Langzeitgedächtnis überführt. Was tagsüber gelernt wurde, wird nachts gefestigt.
Außerdem finden nächtliche Wartungsarbeiten statt. Giftige Stoffe werden ausgeschwemmt, damit die Aufnahme neuer Informationen im Wachzustand schneller und effektiver erfolgen kann. Das molekulare Gerümpel und der Synapsenmüll, die sich in den Zellen angesammelt haben, werden entfernt oder einer erneuten Wiederverwendung zugeführt. Schlaf ist eine Art Wunderpille der Natur für die Gesundheit unseres Geistes und Körpers. Und für diese Medizin brauchen Sie nicht Ihren Arzt oder Apotheker fragen.
Was empfehlen Sie Lehrenden und Lernenden?
Lehrenden empfehle ich, die Lerninhalte über möglichst viele Sinnen zu vermitteln und darauf zu achten, dass der Lernstoff persönlich bedeutsam, nützlich und anwendbar ist. Er sollte an bestehendes Wissen angeknüpft und genügend wiederholt werden. Druck und ein Übermaß an Lernstoff bremsen den Lernerfolg, positive Emotionen fördern ihn.
Und für die Schüler?
Für Lernende ergänze ich folgende Empfehlungen: Schlafen Sie genug und starten Sie mit entspannter Aufmerksamkeit in das Lernen. Planen Sie Pausen ein, in denen Sie einen kleinen Spaziergang unternehmen. Weniger ist mehr! Lernen Sie in kleineren Portionen. Ein Zuviel an Stoff überfordert Ihr Gehirn. Wiederholen Sie den Lernstoff und nutzen Sie verschiedene Möglichkeiten, ihn zu verankern: Hören, aufsagen, lesen, mit der Hand schreiben, anwenden und anderen davon berichten. So kann dauerhaftes Lernen gelingen.
Buchtipp: Michael Kühl-Lenjer: Lernen mit Hirn. Neurodidaktische Impulse für eine gehirngerechte Aus- und Weiterbildung, Business Village, Göttingen. 276 Seiten, 34,95 Euro.
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