biotechnologie.de

2022-05-13 20:33:22 By : Ms. Jojo Liang

Biotechnologie steht als Sammelbegriff für eine nahezu unüberschaubare Vielzahl von Verfahren, Produkten und Methoden. Nach der Definition der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist Biotechnologie die Anwendung von Wissenschaft und Technik auf lebende Organismen, Teile von ihnen, ihre Produkte oder Modelle von ihnen zwecks Veränderung von lebender oder nichtlebender Materie zur Erweiterung des Wissensstandes, zur Herstellung von Gütern und zur Bereitstellung von Dienstleistungen. 

Mit anderen Worten: Die Einsatzmöglichkeiten der Biotechnologie sind nicht auf ein Gebiet beschränkt, sondern sehr vielfältig. So erforschen Biotechnologen Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere und Menschen, aber auch kleinste Teile wie einzelne Zellen oder Moleküle. Biotechnologie kommt schon seit langer Zeit zum Einsatz. Schon sehr lange nutzen Menschen lebende Mikroorganismen, etwa bei der Herstellung von Bier, Wein und Brot. Die moderne Biotechnologie, wie sie heute angewandt wird, nutzt indes gezielt die Methoden der Molekularbiologie. Die Grundlagen hierfür wurden erst mit den wachsenden Erkenntnissen der Mikrobiologie im 18. und 19. Jahrhundert gelegt. Beispielsweise durch die Entdeckung der ersten Enzyme als Biokatalysatoren oder von Bakterien als Produzenten für medizinische Wirkstoffe.

Heute ist die Biotechnologie eine vielgenutzte Querschnittstechnologie. Mit ihr lassen sich neue Medikamente entwickeln, neue Pflanzensorten züchten oder Alltagsprodukte wie Waschmittel und Kosmetika effizienter herstellen. Zur Unterscheidung dieser verschiedenen Anwendungsgebiete hat sich eine Farbenlehre herauskristallisiert: So wird zwischen der roten, grünen und weißen Biotechnologie unterschieden, die sich auf die Gebiete Medizin (rot), Landwirtschaft (grün) sowie Industrie (weiß) bezieht. 

Hinsichtlich der rund 679 in der Biotechnologie tätigen Unternehmen ergibt sich dabei ein klarer Schwerpunkt in der Medizin. Das belegt auch die von biotechnologie.de jährlich durchgeführte Firmenumfrage. Demnach entwickelten 2018 insgesamt 347 Firmen (51%) neue Medikamente oder diagnostische Tests. Ein fast ebenso großer Anteil von Firmen ist in keinem speziellen Feld, sondern für mehrere Anwenderbranchen aktiv. So wurden insgesamt 203 Firmen (30%) der von der OECD definierten Kategorie der nicht-spezifischen Anwendungen zugeordnet. Hierzu gehören Unternehmen, die ausschließlich oder überwiegend Dienstleistungen für andere Biotech-Firmen erbringen oder als Zulieferer für diese tätig sind. Auch reine Auftragsproduzenten von biologischen Molekülen ohne eigene Entwicklungsaktivitäten wurden zu dieser Kategorie gezählt. Damit ist dieses Segment das zweitwichtigste der Branche und erreicht eine fast ebenso große Bedeutung wie die medizinische Biotechnologie.

Mit größerem Abstand folgt die industrielle oder weiße Biotechnologie. Für 69 Unternehmen (10,2%) in Deutschland stellen die Entwicklung von technischen Enzymen, neuen Biomaterialien oder biotechnologischen Produktionsprozessen das Hauptbetätigungsfeld dar. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass viele Aktivitäten in diesem Bereich nicht in den dedizierten Biotechnologie-Unternehmen, sondern in der Chemieindustrie laufen. Deshalb ist die Bedeutung dieses Sektors insgesamt größer einzuschätzen.

Nur 20 Firmen (2,9%) sind der grünen oder Agro-Biotechnologie zuzurechnen. Da dieses Feld jedoch ähnlich wie bei der weißen Biotechnologie von Großunternehmen dominiert wird, ist die Bedeutung des Feldes auch hier größer einzuschätzen, als die reine Zahl an dedizierten Biotechnologie-Unternehmen annehmen lässt. 40 Unternehmen (5,9%) beschäftigen sich mit dem für viele Anwendungen immer wichtigeren Feld der Bioinformatik.

Die medizinische Biotechnologie wird auch die rote Biotechnologie genannt und beschäftigt sich mit der Entwicklung neuer therapeutischer und diagnostischer Verfahren. Die Grundlagen der medizinischen Biotechnologie, wie sie heute verstanden wird, wurden erst vor ein paar Jahrzehnten im Zuge der modernen Genomforschung gelegt. So hat die Entdeckung der molekularen Struktur der DNA als Erbmolekül im Jahr 1953 durch die Amerikaner James Watson und Francis Crick einen enormen Schub ausgelöst. Ein Meilenstein, der noch gar nicht so lange zurückliegt, ist die Entzifferung des Humangenoms im Jahr 2001. Seitdem haben sich Verfahren für die Genomanalyse nochmals sprunghaft weiterentwickelt.

Die Erbinformation ist der Bauplan aller Lebensvorgänge. Um den Mechanismen von Krankheiten auf die Spur zu kommen, ist das Wissen um diese Baupläne sehr wichtig. Je besser die Forscher verstehen, welche Gene für die Produktion bestimmter Eiweißmoleküle zuständig sind, umso eher können sie zielgerichtete Medikamente entwickeln. Denn genau das ist eines der Ziele in der medizinischen Biotechnologie: biologische Moleküle ganz gezielt für therapeutische Zwecke zu nutzen. Das Verständnis um das Genom (Gesamtheit aller Gene) und das Proteom (Gesamtheit aller Eiweiße) sind daher elementare Voraussetzungen für Biotechnologen. So zählen die Genomforschung und die Proteomforschung zu den wichtigsten Plattformtechnologien der Biotechnologie.

Gerade bei Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Krebs haben Wissenschaftler auf der Basis neuester Erkenntnisse bereits zahlreiche neue Ansätze für eine noch effizientere Behandlung mit weniger Nebenwirkungen oder gar Heilung von Krankheiten entdeckt. Konnten bisher vielfach nur Symptome einer Krankheit behandelt werden, lassen sich mit dem Wissen der Genom- und Proteomforscher inzwischen gezielt die Ursachen bekämpfen. So eröffnet die Biotechnologie hier ganz neue Optionen und verbessert zugleich die Einsatzmöglichkeiten für die klassische, mit chemischen Molekülen arbeitende Pharmaindustrie. Biotechnologische Verfahren helfen nämlich auch hier, neue oder effektivere Zielstrukturen zu finden. Das Konzept, Medikamente entsprechend der molekularbiologischen Signatur eines Menschen einzusetzen und zu entwickeln, wird unter dem Begriff personalisierte oder individualisierte Medizin gefasst. Krebs stellt dabei eines der am häufigsten erforschten Krankheitsbilder dar.

Wie die von biotechnologie.de jährlich durchgeführte Biotechnologie-Firmenumfrage belegt, ist die Medizin für Unternehmen eine der wichtigsten Anwendungsgebiete der Biotechnologie. Zum Einsatz kommt sie jedoch nicht nur bei der Entwicklung neuer therapeutischer Ansätze. Auch die Herstellung von Medikamenten erfolgt heutzutage immer stärker biotechnologisch. In Deutschland waren nach Angaben des Verbandes forschender Arzneihersteller (VFA) Ende 2017 insgesamt 274 biotechnologisch hergestellte Medikamente und Impfstoffe zugelassen. Sie werden in speziell dafür entwickelten Bioreaktoren hergestellt. Dort produzieren Mikroorganismen oder tierische Zellen das gewünschte Präparat. Dies gilt vor allem für eiweißbasierte Medikamente wie Antikörper oder Hormone. Solche aktiven Biomoleküle lassen sich in ihrer dreidimensionalen Form nur von lebenden Organismen oder Zellen produzieren. Ein chemischer Nachbau funktioniert nicht. Dass Mikroorganismen und Zellen inzwischen gentechnisch so verändert werden können, dass sie das gewünschte Biomolekül passgenau herstellen, ist ein Verdienst der Gentechnik. Auf diese Weise entstehen etwa Medikamente für Millionen von Patienten, die an der Zuckerkrankheit leiden (Diabetes). Das für diese Therapie genutzte Insulin wird in gentechnisch veränderten Bakterien und Säugetierzellen hergestellt.

Die Bedeutung derartig hergestellter Medikamente spiegelt auch die Statistik wider: Nach Angaben des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (VFA) trugen biotechnologisch hergestellte Medikamente im Jahr 2017 mit 10,2 Milliarden Euro zu 26% des Gesamtumsatzes der Pharmaindustrie in Deutschland bei. So werden biotechnologische Impfstoffe zur Prävention von Krankheiten verwendet oder rekombinante Eiweiße zur Behandlung von Patienten mit chronischen, schweren und seltenen Krankheiten eingesetzt. Insbesondere bei der Behandlung immunologischer Erkrankungen (z.B. Rheuma) und Krebs spielen Protein-Medikamente eine wichtige Rolle. Nach den USA ist Deutschland weltweit der größte Produktionsstandort für biotechnologisch hergestellte Medikamente.

Kommen biotechnologische Verfahren in der Landwirtschaft zum Einsatz, wird von grüner Biotechnologie oder Agrobiotechnologie gesprochen. Ohne solche Methoden ist die moderne Landwirtschaft nicht mehr denkbar. Die Grundlagen hierfür legte vor allem die Pflanzengenomforschung, die in den vergangenen Jahren immer mehr Wissen zutage förderte, das sich für die Züchtung neuer Pflanzensorten gezielt nutzen lässt.

Indirekt war die genetische Optimierung von Pflanzen aber seit jeher Ziel der Menschen, auch wenn es damals noch nicht so bezeichnet wurde: Schon vor Jahrtausenden haben Bauern solche Pflanzen ausgewählt, die im äußerlichen Erscheinungsbild wünschenswerte Eigenschaften zeigten, und sie weiter vermehrt. Sorgsames Kreuzen und Rückkreuzen hat dabei die genetische Zusammensetzung der Pflanzen so verändert, dass sie süße Äpfel oder riesige Maiskolben produzierten. Was beim Kreuzen und Rückkreuzen auf genetischer Ebene passiert, blieb indes lange Zeit im Verborgenen, bis schließlich Gregor Mendel im 19. Jahrhundert mit seiner Vererbungslehre die Grundlage für die heutige moderne Genetik legte. Seither wurde das Geheimnis der Pflanzengene immer mehr gelüftet. 

Der Vorteil dieses Wissens liegt auf der Hand: Früher mussten sich die Züchter allein auf die Beobachtung und Analyse äußerlicher Merkmale sowie ihre Erfahrung verlassen, ob es sich bei der durch Kreuzung geschaffenen Pflanze um ein Objekt mit den gewünschten Eigenschaften handelt oder nicht. Wie mühsam diese Prozesse waren und auch in der heutigen Züchtung noch sind, zeigen die mitunter jahrzehntelangen Entwicklungszeiten neuer Pflanzensorten. Erst der Erkenntnisfortschritt der Genomforscher hat hier zu einem großen Wandel beigetragen. Meilensteine der grünen Biotechnologie waren folgerichtig die vollständige Erbgut-Sequenzierung der Modellpflanze Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana im Jahr 2000 und die Entschlüsselung des Reisgenoms zwei Jahre darauf.

Aufbauend auf solchen Daten können Pflanzenzüchter inzwischen nützliche Eigenschaften von Pflanzen auf genetischer Ebene bestimmen und die verantwortlichen Gene im Erbgut lokalisieren. Mit einer solchen Landkarte des Pflanzengenoms lässt sich in der Züchtung enorm viel Zeit und Geld sparen. So können mit der sogenannten markergestützten Selektion (MAS) Pflanzen schon sehr früh im Züchtungsprozess zielgerichtet aussortiert werden, wenn sie auf genetischer Ebene ein gewünschtes Merkmal aufweisen oder eben nicht. Damit müssen im Vergleich zur klassischen Züchtung nicht mehr soviele Nachkommen der Pflanzen angebaut und im Testanbau auf ihre Praxistauglichkeit geprüft werden. Gleichzeitig ist eine viel tiefergehende Analyse hinsichtlich von Wechselwirkungen verschiedener Eigenschaften möglich. Werden Sorten auf diese Weise gezüchtet, spricht man auch von Smart Breeding (Präzisionszüchtung) und kaum ein Pflanzenzüchter verzichtet heute noch darauf.

So sind die Ansprüche an die Pflanzen enorm gewachsen. Auf dem Acker haben Elite-Zuchtpflanzen oberste Priorität, die angepasst an die jeweiligen Anbau- und Klimaverhältnisse ganz spezielle Eigenschaften aufweisen. Die Zielsetzungen der Züchter haben sich dabei immer wieder geändert und gewinnen durch die Erkenntnisse in der Pflanzengenomforschung ganz neue Dimensionen. Was mit den Verfahren der klassischen Züchtung zu aufwendig, zu teuer oder schlichtweg nicht machbar war, ist heute möglich. So kann das Erbgut von Pflanzen inzwischen gezielt verändert werden beispielsweise um ihre Abwehr gegen Schädlinge zu stärken oder ihren Ertrag bestimmter Substanzen zu erhöhen. So ist die einzige in Deutschland für den Anbau zugelassene gentechnisch veränderte Pflanze derzeit die Stärkekartoffel Amflora – gentechnisch so verändert worden, dass sie nur eine statt zwei Stärkesorten produziert. Die Amylose-Produktion wurde mit gentechnischen Mitteln gestoppt, Amflora wird angebaut, um daraus das für die Papierherstellung wichtige Amylopektin in Reinform zu gewinnen. Für die Industrie entfallen Aufbereitungsverfahren, die viel Wasser und Energie verbrauchen.

Nach einigen Jahren Anbau auf kleinen Flächen wird die umstrittene Amflora hierzulande seit 2012 jedoch nicht mehr angebaut und die BASF hat ihre Forschung und Entwicklungsaktivitäten zur Grünen Gentechnik in die USA verlagert. Im Jahr 2009 verbot die Bundesregierung den Anbau der zuvor in mehreren Bundesländern kultivierten Bt-Maissorte MON810. Die Maispflanzen produzieren in ihren Zellen ein Insektizid, das die Gewächse gegen die Raupen des weit verbreiteten Pflanzenschädlings Maiszünsler resistent macht. Vor 2009 war MON810 auf mehr als 3.000 Hektar angebaut worden. MON810 wurde 1998 nach dem damaligen Gentechnikrecht in der EU zugelassen - sowohl für den Anbau als auch als Lebens- und Futtermittel. In einigen EU-Ländern ist "Gen-Mais" politisch umstritten. Neben Deutschland haben weitere europäische Länder Anbaustopps verhängt. Die zuständige Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat die Sicherheit von MON810-Mais mehrfach überprüft. In Europa wird der Bt-Mais nur in Spanien auf größeren Flächen angebaut. Weltweit lag 2017 die Anbaufläche gentechnisch veränderter Pflanzen bei 190 Millionen Hektar. Mit rund 75 Millionen Hektar sind die USA dabei weiterhin der unangefochtene Spitzenreiter, es folgen Brasilien, Argentinien, Kanada und Indien.

Ob im Waschmittel oder in der Hautcreme – in einer Vielzahl von industriellen Produkten steckt Biotechnologie. In diesem Zusammenhang sprechen Experten von weißer oder industrieller Biotechnologie. Der Griff in die Werkzeugkiste der Natur hilft der Industrie, ressourcenschonender und umweltfreundlicher zu arbeiten. Dies gilt für viele Lebensmittel, die schon seit Jahrhunderten auf die Kraft von lebenden Mikroorganismen setzen, wie Brot, Käse, Bier und Wein. Aber auch bei der Herstellung hochwertiger Chemikalien, Arzneimittel, Vitamine, Wasch- und Reinigungsmittel, bei der Veredelung von Textilien, Leder und Papier und bei der Herstellung vieler anderer oft benutzter Gegenstände sind Methoden der weißen Biotechnologie zu einem festen Bestandteil der Produktionsverfahren geworden.

Der Einsatz natürlicher Helfer hat schon eine lange Tradition. In zahlreichen Kulturen waren Methoden der Vergärung zuckerhaltiger Nahrungsmittel zu Alkohol mithilfe von Hefen, Milchsäuregärung unter Verwendung von Lactobacillus-Stämmen oder die Essigherstellung mithilfe spezieller Acetobacter-Spezies lange vor der Entdeckung von Mikroorganismen oder dem Verständnis der zugrunde liegenden Prozesse bekannt. Erste Anwendungen lassen sich bereits 6.000 v. Chr. finden, als die Sumerer in Mesopotamien aus gekeimter Gerste ein alkoholhaltiges bierähnliches Getränk gebraut haben. Aber auch bei der Herstellung von Wein, Sauerteigbrot oder Käse kamen von Anfang an lebende Mikroorganismen zum Einsatz ? nur hat das damals keiner gewusst.

Die Entdeckung der Mikroorganismen und der biochemischen Grundlagen fermentativer Prozesse erfolgte erst im Verlauf der vergangenen drei Jahrhunderte. So entdeckte beispielsweise Louis Pasteur (1822–1895) im Jahr 1856 in verunreinigten Weinfässern Mikroorganismen, die er nach ihrer Form mit dem griechischen Wort für Stäbchen Bacterion benannte. Darüber hinaus fand er heraus, wie die Gärung abläuft: Während Milchsäurebakterien (Lactobazillen) aus Zucker Milchsäure produzieren, vergären Hefepilze in den Weinfässern den Zucker zu Alkohol. Pasteur legte mit seinen Experimenten die Grundlage für das Verständnis der Fermentation und begründete die moderne Mikrobiologie. Mit seiner Erkenntnis, dass "die Rolle des unendlich Kleinen in der Natur unendlich groß" ist, war der Weg für die moderne Biotechnologie bereitet.

Weitere Impulse für die Entwicklung dieses Forschungszweiges kamen aus der Medizin. So erkannte Robert Koch (1843–1910) als einer der ersten Wissenschaftler die Bedeutung der Mikroorganismen als Krankheitserreger. Im Jahr 1876 gelang Koch die Entdeckung des Milzbrand-Bakteriums und 1882 die Identifizierung des Tuberkulose-Erregers. Zuvor galten nicht Mikroorganismen, sondern so genannte Miasmen – die Luft verunreinigende Gifte – als Krankheitsursachen.

Einen weiteren Puzzlestein im Gesamtverständnis der Mikrobiologie lieferten schließlich zeitgleich die Chemiker. So beobachteten Forscher im 18. Jahrhundert, dass der Abbau eines Stoffes manchmal durch die Zugabe einer weiteren Substanz beschleunigt werden konnte, der dabei offenbar aber nicht verbraucht wurde. Bald konnten Stoffe aus Pflanzen und tierischen Geweben extrahiert werden, die mit den beobachteten Reaktionen in Verbindung gebracht und "Fermente" genannt wurden. Im 19. Jahrhundert wurde schließlich klar, dass es sich dabei um natürliche Biokatalysatoren handelte. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch der Name "Enzyme" (aus dem Griechischen "in der Hefe") für die Biokatalysatoren geprägt. Er wurde von nun an auf alle Fermente angewandt.

Biotechnologische Anwendungen in der industriellen Produktion wurden schon früh in der Ledergerbung genutzt: Das heute in dieser Form nicht mehr existierende deutsche Unternehmen Röhm & Haas aus Darmstadt produzierte bereits 1909 das erste industriell verwendete Enzymprodukt OROPON®. Es bestand aus Enzymen, die Proteine abbauen, den so genannten Proteasen, und verbessert entscheidend die Ledergerbung: Bis dahin waren zur Behandlung der Felle und Häute Beizen aus Hundekot und Taubenmist verwendet worden, die jetzt durch das wesentlich umweltfreundlichere und sauberere Produkt ersetzt werden konnten.

Die Genomforschung trieb die dynamische Entwicklung der modernen weißen Biotechnologie schließlich immer weiter voran. Dieses Wissen legte die Fundamente dafür, dass sich die evolutionär geschaffene biosynthetische Vielfalt der belebten Natur inzwischen viel gezielter für industrielle Prozesse nutzen lässt. Mit der Forderung einer nachhaltigen Wirtschaftsweise sind seit den 80er und 90er Jahren die in der Natur vorhandenen Ressourcen auch zunehmend in den gesellschaftlichen Blickpunkt gerückt. Damit verband sich für Politik und Wirtschaft die Erkenntnis, dass die Sicherung der natürlichen Ressourcen für künftige Generationen mit bestehenden industriellen Verfahren langfristig nicht zu gewährleisten ist: Vor allem die Endlichkeit fossiler Energieträger trug zu einem Umdenken bei und setzte die Suche nach Alternativen verstärkt in Gang.

So bieten biotechnologische gegenüber chemischen Verfahren den Vorteil, dass Prozesse oftmals unter milden, umweltschonenderen Bedingungen stattfinden können: Mikroorganismen bewerkstelligen komplexe Stoffumwandlungen mit hoher Ausbeute bei Zimmertemperatur und Normaldruck, wofür chemische Verfahren hohe Temperaturen und hohen Druck brauchen. An die industrielle Biotechnologie sind deshalb immer auch ökologische Erwartungen geknüpft. In vielen Bereichen – etwa der Waschmittel- oder der Textilherstellung – haben sich diese bereits erfüllt. So tragen Biokatalysatoren in Waschmitteln zu einer Reduzierung der Waschtemperatur bei.

In der Textilindustrie haben Biotechnologen wiederum enzymbasiertes Verfahren entwickelt, um bei Jeans den beliebten Stonewashed-Effekt herbeizuführen. Dieser wurde zuvor aufwendig durch den Einsatz von Bimsstein erzielt. Schon lange etabliert sind auch Lebensmittelzusatzstoffe wie Zitronensäure sowie Medikamente wie Antibiotika, die mithilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen hergestellt werden. Sie zählen daher zu den wirtschaftlich bedeutendsten Produkten der weißen Biotechnologie. Kaum ein Chemiekonzern verzichtet heute auf derartige Verfahren. Zugleich hat sich eine zwar kleine, aber dennoch dynamische Szene an Biotechnologie-Unternehmen etabliert, die ihre Dienste für die Industrie anbieten.

Mit der Biotechnologie in ihren unterschiedlichen Facetten werden bereits heute viele Lebensmittel, aber auch hochwertige Chemikalien, Enzyme, Arzneimittel, Vitamine, Wasch-und Reinigungsmittel sowie Agrochemikalien hergestellt, die aus dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken sind und nach Angaben des deutschen Bioökonomierates (2010) eine hohe Marktbedeutung mit derzeit ca. 80 Mrd. haben. Dazu kommen noch Produkte der roten Biotechnologie, deren Marktvolumen innerhalb der Pharmaindustrie bereits 100 Mrd. Euro übersteigt. Verschiedene Studien und Analysen zum Potenzial der weißen Biotechnologie erwarten, dass der Anteil biotechnologischer Verfahren bei der Herstellung chemischer Produkte in den kommenden Jahren erheblich zunehmen wird. Im "Cologne-Paper" schätzen Experten, dass im Jahre 2030 Biomaterialien und Bioenergie mit einem Volumen von weltweit rund 300 Mrd. Euro ein Drittel der gesamten industriellen Produktion ausmachen werden.

In vielen anderen Anwendungsgebieten haben die Entwicklungen allerdings erst begonnen, vor allem bei der Herstellung von Biokunststoffen oder der Gewinnung von Energie aus nachwachsenden Rohstoffen. Hier müssen künftige Forschungsarbeiten erst den Grundstein für eine tatsächlich effiziente Produktionsweise legen – und die Biotechnologie kann einen entscheidenden Beitrag dazu leisten.

Rekordfinanzierung, Umsatzplus, mehr Mitarbeiter, deutlicher Anstieg der Investitionen in Forschung und Entwicklung. Mehr dazu im aktuellen BIOCOM-Branchenreport.   

Rekordfinanzierung, Umsatzplus, mehr Mitarbeiter, deutlicher Anstieg der Investitionen in Forschung und Entwicklung. Mehr dazu im aktuellen BIOCOM-Branchenreport.