Umweltbewusster Umgang mit Arzneimitteln: Wie Ärzte sich beteiligen können

2022-03-04 08:21:17 By : Ms. Emily Liu

Manche Oberflächengewässer und teilweise auch Grundwasser enthalten unterschiedliche umweltbelastende Spurenstoffe, zu denen auch Wirkstoffe aus Arzneimitteln und deren Abbauprodukte gehören. Diese finden sich teilweise im Rohwasser für die Trinkwasseraufbereitung wieder.

Als Spurenstoffe gelten Stoffe, die in geringen Konzentrationen in Gewässern vorkommen und anthropogenen Ursprungs sind. Daher werden sie auch als Mikroverunreinigungen bezeichnet. Diese Stoffe können bereits in sehr niedrigen Konzentrationen aquatische Ökosysteme und die menschliche Gesundheit nachteilig beeinflussen. Die Wirkungen mehrerer gleichzeitig vorhandener Spurenstoffe können sich addieren, potenzieren oder vermindern.

Von den rund 1 200 Humanarzneimittelwirkstoffen mit möglicher Umweltrelevanz wurden im Jahr 2012 in Deutschland insgesamt 8 120 Tonnen verbraucht (1). Die am häufigsten verschriebenen Humanarzneimittel 2019 waren Hemmer des Angiotensin-konvertierenden Enzyms (ACE), Analgetika und Betarezeptorenblocker (2).

Eine Auswertung des Umweltbundesamtes (UBA) von Messprogrammen der Bundesländer aus den Jahren 2009 bis 2011 zeigte, dass insgesamt 27 verschiedene Arzneimittelwirkstoffe unterschiedlicher Wirkstoffklassen in Oberflächengewässern nachweisbar waren. Auffallend hohe Konzentrationen in der Umwelt ließen sich sowohl für Röntgenkontrastmittel als auch für Diclofenac nachweisen (1). Als problematisch für die Umwelt gelten zudem unter anderem Antibiotika, Antidepressiva und Arzneimittel mit endokrinen Wirkungen (3).

Vor diesem Hintergrund wurde durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) ein Stakeholder-Dialog zur Erarbeitung einer Strategie zum Umgang mit Spurenstoffen in Gewässern auf Bundesebene gestartet. Ziel ist es, einen ausgewogenen Mix aus quellen- und anwendungsorientierten sowie nachgeschalteten Maßnahmen zu identifizieren, die ausreichend effektiv und möglichst effizient den Spurenstoffeintrag mindern.

Ein Format im Rahmen des Spurenstoffdialogs sind „runde Tische“. Sie bieten eine Diskussionsplattform, um für einzelne relevante Spurenstoffe Maßnahmen zu diskutieren, die frühzeitig den Eintrag bei Herstellung und Anwendung verringern. Die Zusammensetzung der Teilnehmenden an den runden Tischen ist bewusst breit gewählt, um sachlich konstruktive Diskussionen unter Berücksichtigung vieler Aspekte inklusive regulatorischer, klinischer und ökologischer Fragen zu ermöglichen.

Einer dieser runden Tische befasst sich mit dem Arzneimittelwirkstoff Diclofenac. Er bringt Expertinnen und Experten des BMUV, des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), des UBA, der Trinkwasserver- und Abwasserentsorger, von Umweltverbänden, der pharmazeutischen Industrie sowie von Universitäten zusammen. Nachgeschaltete Maßnahmen zur Aufbereitung des Wassers wurden im Format des runden Tisches ausgeklammert, da diese in anderen Gruppen des Stakeholder-Dialogs bearbeitet werden und Bestandteil der Diskussion der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) sind.

Aufgrund der Einschätzung des Expertengremiums zur Bewertung der Relevanz von Spurenstoffen fiel die Wahl für einen der ersten runden Tische des Spurenstoffdialogs auf den Wirkstoff Diclofenac (4). Die Substanz ist aufgrund ihrer analgetischen, antiphlogistischen und antirheumatischen Wirkung in der Humanmedizin seit Jahrzehnten zugelassen. Diclofenac-haltige Arzneimittel sind in Deutschland als topische Salben und Gele sowie als Tabletten und Kapseln sowohl rezeptfrei (OTC) als auch rezeptpflichtig erhältlich.

Spurenstoffe aus dem Arzneimittelbereich gelangen über unterschiedliche Eintragspfade in die Umwelt. Der Eintrag in den Wasserkreislauf ist unter anderem abhängig von der Art der Anwendung von Diclofenac: oral oder topisch.

Nach oraler Aufnahme wird Diclofenac verstoffwechselt, ein geringer Teil gelangt jedoch auch unverstoffwechselt über den Urin in das Abwasser und damit über die Kläranlage in die Umwelt.

Bei der topischen Anwendung ist davon auszugehen, dass nach der Applikation von Diclofenac direkt die Hände gewaschen werden oder geduscht wird, bevor Diclofenac resorbiert wurde. Über die Hälfte der Deutschen waschen sich nach eigenen Angaben direkt nach dem Auftragen eines topischen OTC-Produkts die Hände (5). Darüber hinaus gelangt der Wirkstoff von Kleidungsstücken, an denen Diclofenac haftet, in das Abwasser und so in den Wasserkreislauf.

Auch eine nicht bestimmungsgemäße Anwendung von Diclofenac kann eine Rolle beim Eintrag in die Umwelt spielen. Zum Beispiel wenn Patientinnen oder Patienten zu viel Wirkstoff auftragen oder Personen Diclofenac vorbeugend im Leistungs- und Breitensport ohne Indikation anwenden, um Schmerzen zu vermeiden.

Weiterhin erhöht sich der Eintrag in die Umwelt etwa, wenn Medikamente nicht ordnungsgemäß versorgt werden, zum Beispiel über das Waschbecken oder die Toilette, oder durch Rückstände aus Produktionsabwässern. Letztere sind aber – zumindest in Deutschland – eher unbedeutend.

In den Kläranlagen kann Diclofenac mit den Verfahren der derzeit gesetzlich vorgeschriebenen Abwasserbehandlung nur teilweise eliminiert werden und findet sich so in der Umwelt, vor allem in den Gewässern wieder (6). Dort führt es bereits in geringen Konzentrationen zu gesundheitlichen Schäden an Gewässerlebewesen. Weitere Schäden in der Umwelt, zum Beispiel der Vogelwelt, wurden ebenfalls dokumentiert (6).

Umfassende Analysen in europäischen Gewässern belegen für Diclofenac Gehalte in vergleichbaren Größenordnungen, sodass von einer nahezu flächenhaften Anwendung des Wirkstoffs ausgegangen werden muss.

Auf Ebene der Europäischen Union (EU) wird derzeit im Rahmen der Überprüfung der Umweltqualitätsnormen für Oberflächengewässer die Aufnahme eines Grenzwerts von 0,05 Mikrogramm je Liter für Diclofenac in die entsprechende Richtlinie diskutiert. Dieser Wert wurde in Deutschland 2016 an 21 der insgesamt 24 Messstellen überschritten (7).

Eine verbesserte Reduktion von Diclofenac und weiteren Spurenstoffen in Kläranlagen ist technisch möglich, aber mit erheblichem Aufwand und Kosten verbunden. Bei mehr als 9 000 Kläranlagen in Deutschland wird eine solche weitergehende Abwasserbehandlung nicht überall zum Einsatz kommen können und zudem bei der Umsetzung einen jahrelangen Vorlauf erfordern. Auch bei verbesserter Reinigungsleistung wird aus technischen Gründen eine Restbelastung von Wirkstoffen und Transformationsprodukten im Kläranlagenablauf und damit in den Gewässern verbleiben. Daher sind zur Verringerung der Einträge – nicht nur von Diclofenac – sinnvolle Maßnahmen und Verhaltensänderungen bei der Anwendung dringend erforderlich.

Wenn Patientinnen oder Patienten zu große Mengen zum Beispiel eines Diclofenac-haltigen Schmerzgels auftragen oder sich unmittelbar danach die Hände waschen oder duschen, gelangt der Wirkstoff wie oben beschrieben in den Wasserkreislauf. Besonders das Händewaschen nach der topischen Anwendung kann zu einem Eintrag führen, der sehr einfach zu reduzieren ist.

Diese Erkenntnis möchte man sich zunutze machen. Denn mögliche Maßnahmen, die hier ansetzen, könnten effizient sein, ohne dabei die klinische Wirksamkeit, den Patientennutzen oder den Zugang zu Arzneimitteln einzuschränken.

Um diese Vermutung zu belegen, wurde eine Studie aufgesetzt und die Menge an Diclofenac im Wasser nach Anwendung eines Schmerzgels und anschließendem Händewaschen quantifiziert. Die Menge wurde nach dem Befolgen zweier Handwaschroutinen analysiert – mit und ohne Abwischen der Hände mit einem Papiertuch nach dem Auftragen (Grafik ). Die Ergebnisse sind vielversprechend: Das Abwischen der Hände nach dem Auftragen kann die Diclofenac-Menge, die ins Wasser gelangt, wenn Patientinnen oder Patienten stattdessen die Hände waschen, reduzieren. Beim Abwischen der Hände mit einem Papiertuch vor dem Waschen sank der Diclofenac-Gehalt in dem zum Händewaschen verwendeten Wasser um 66 % (8).

Zwar wurde das Abwaschen von Salbenmenge, die auf behandelten Körperstellen verbleibt, nicht untersucht. Aber man kann aus dieser Studie ableiten, dass auch eine ausreichende Einwirkzeit von Diclofenac-haltigen Salben, beispielsweise vor dem Duschen, von großer Bedeutung ist.

Die Verbesserung der Gesundheitskompetenz und des Verständnisses zum verantwortungsbewussten Umgang mit Arzneimitteln generell ist ein grundlegender konkreter Lösungsansatz.

Hilfreich ist dabei die Einführung der digitalen Gebrauchsinformation. Sie trägt dazu bei, dass die Informationen zu einem Arzneimittel in aktueller Fassung über Web- und App-Anwendung jederzeit abrufbar sind. Die EU hat hierzu ein Projekt zur elektronischen Produktinformation (ePI) aufgesetzt, um hierfür einen Standard und entsprechende Vorschriften zu entwickeln (9). Nationale Anwendungen, zum Beispiel Gebrauchsinformation 4.0, existieren bereits heute (10).

Neben Ärztinnen und Ärzten sind alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Gesundheitsbranche in Apotheken, Pflegeeinrichtungen, Altenheimen, aber auch Sportverbänden und -institutionen, Schulen und Universitäten relevante Informationskanäle und Multiplikatoren.

Den Beteiligten am „Runden Tisch Diclofenac“ ist bewusst, dass die gesundheitliche Aufklärung in der Bevölkerung aktiv gestärkt werden muss, um Einträge von Diclofenac in den Wasserkreislauf und damit die Umwelt nachhaltig zu reduzieren. Die Gesundheitskompetenz zu fördern, ist dabei nicht nur ein zentraler Punkt der Prävention, sondern auch ein notwendiges Mittel zur effektiven Reduktion von Diclofenac-Einträgen.

Der bewusstere Umgang mit Diclofenac und eine sachgerechtere Entsorgung können somit zur Entlastung der Umwelt beitragen (11). Auch hinsichtlich einer ganzheitlichen Betrachtung von Therapie und Prävention sollten Patientinnen und Patienten genau die richtige, therapeutisch notwendige Menge unter Beachtung der korrekten Anwendungsschritte verwenden.

Ärztinnen und Ärzte und das jeweilige Fachpersonal in Praxen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen spielen hierbei eine zentrale Rolle (12). Zum einen ist es sehr wichtig, dass sie selber den Anwendungsempfehlungen folgen. Zum anderen spielen sie eine wichtige Rolle als Multiplikatoren und sollten Patientinnen und Patienten über eine korrekte und bewusstere Anwendung und Entsorgung aufklären und dabei unterstützen.

Mögliche Alternativen zum Beispiel auch pflanzlicher Herkunft mit vergleichbarem klinischen Profil sollten hinsichtlich der Auswirkung auf die Umwelt wissenschaftlich analysiert werden. Nicht zuletzt, um auch für die Selbstmedikation fundiert beraten zu können.

Was wir tun können

Die ersten konstruktiven Ergebnisse des runden Tisches im Rahmen des Stakeholder-Dialogs zur Erarbeitung einer Strategie zum Umgang mit Spurenstoffen in Gewässern zeigen, dass eine sinnvolle und zielführende Lösung sich nur erreichen lässt, wenn alle Verantwortliche einbezogen werden. Unter Berücksichtigung der verschiedenen Mandate gilt das gemeinsame Ziel, die Gesundheit der Menschen und eine „gesunde“ Umwelt zu erhalten. Ein wesentliches Element dabei ist die Informationsverbesserung. Wenn in Arztpraxen, Krankenhäusern, Apotheken und Sporteinrichtungen, Schulen, Universitäten die Information zum „richtigen“ Umgang mit Arzneimitteln an Anwenderinnen und Anwender sowie Patientinnen und Patienten weitergegeben und bewusst werden, ist ein großer Schritt getan.

MinDirig Dr. jur. Joerg Wagner, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV)

Dipl.-Ing. Nadine Steinbach, Verband kommunaler Unternehmen (VKU)

Priv.-Doz. Dr. med. habil. Holger Mellerowicz, Krankenhaus Waldfriede, Berlin

Paul Kröfges, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)

Dr. pharm. Maren von Fritschen, AddOn Pharma GmbH – Korrespondenz

Interessenkonflikt M. von Fritschen erklärt, Honorare für eine Beratertätigkeit von ProGenerika erhalten zu haben. J. Wagner, N. Steinbach, P. Kröfges und M. von Fritschen erklären, bei der Abfassung des Manuskripts Unterstützung von Runder Tisch Diclofenac - AG1 Informationsverbesserung erhalten zu haben. H. Mellerowicz erklärt, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Der Artikel unterliegt keinem Peer-Review.

Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/lit0922 oder über QR-Code.

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