Die Grabungen in der Grube Messel nordöstlich von Darmstadt bringen erneut besondere Funde ans Tageslicht, die mehrere Millionen Jahre alt sind.
Darmstadt – Blütenpollen hat er gegessen. In seinem Darmtrakt konnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gelb leuchtende Pollen erkennen. Das Besondere: Der Käfer, ausgegraben in der UNESCO-Welterbestätte Grube Messel, lag rund 47,5 Millionen Jahre unter der Erde. Er ist nur eines der Highlights unter den 1100 Funden, die seit Mai in dem stillgelegten, 800 Meter breiten Ölschiefer-Tagebau nordöstlich von Darmstadt entdeckt wurden. Am 2. September enden die diesjährigen Grabungen.
Nicht nur auf den uralten Käfer, sondern auch auf fossile Blüten, in denen noch der Staubbeutel mit Pollen erhalten ist, sind Grabungsleiterin Sonja Wedmann und ihr Team besonders stolz. „Die Pollen kann man teilweise schon mit bloßem Auge sehen“, sagt sie. Laut ihrem Kollegen, dem Paläobotaniker Dieter Uhl, sind Blüten generell nur vereinzelt fossil überliefert. Noch seltener seien Blüten mit Pollen. Aber auch der Käfer mit Pollen im Hinterleib sei etwas sehr Seltenes und Außergewöhnliches, so Wedmann. „Vielleicht zehn von rund 20 000 Messel-Insekten in der Senckenbergsammlung sind Käfer mit Pollen im Darmtrakt.“
Was für ein Käfer das ist und welche Blüten da in Jahrmillionen versteinert wurden, lasse sich noch nicht so schnell bestimmen, sagt die Paläontologin. Erst tun nämlich die Präparatoren ihre Arbeit. Sie präparieren die neuen Fossilien, bevor sie wissenschaftlich klassifiziert und beschrieben werden können. „Das Präparieren aller Neufunde dauert etliche Monate.“ Danach gehen die Funde in die Senckenberg-Sammlung über. Wirbeltiere und Pflanzenfossilien landen im Frankfurter Haupthaus, fossile Insekten in der Forschungsstation direkt an der Grube Messel, eine Senckenberg-Außenstelle.
Im Verlauf der wissenschaftlichen Bearbeitung können aus dem Darminhalt des Käfers kleinste Proben der Pollen entnommen und genauer im Mikroskop betrachtet werden. Das Senckenberg-Institut arbeitet hier mit Kollegen der Universität Wien zusammen, um solche Pollen zu analysieren, genauer zu bestimmen und mit heutigen Pflanzen vergleichen zu können.
Die Grube Messel ist ein stillgelegter Ölschiefer-Tagebau nahe der Gemeinde Messel.
Sie entstand, als sich im Explosionstrichter eines Vulkans ein bis zu 300 Meter tiefer See, ein Maar, bildete, der nach 1,5 Millionen Jahren verlandete.
Tote Tiere und Pflanzen sanken damals auf den Grund, konservierten sich in den sauerstoffarmen unteren Wasserschichten und versteinerten.
Die UNESCO erklärte die Grube im Jahr 1995 zum Welterbe. ann
Im Mai hatte die Grabungsleiterin mit drei festen Mitarbeitern und mit fünf studentischen Grabungspraktikant:innen von den Universitäten Köln, Bonn, Darmstadt und Hamburg die Arbeit in der Fossillagerstätte aufgenommen. Im Juli waren dann in drei Gruppen insgesamt 15 junge Menschen zur Unterstützung da, die an der Frankfurter Senckenberg-Schule eine zweijährige Ausbildung zur technischen Assistenz für naturkundliche Museen und Forschungsinstitute absolvieren. Im August folgten für vier Wochen erneut fünf Studierende. „Die erste Woche dauert es, bis sie die Funde erkennen, weil die Fossilien sehr unterschiedlich erhalten und sehr vielfältig sind“, sagt Wedmann. Insgesamt seien sie eine große Hilfe.
Insekten, Pflanzen und Fische waren in dieser Grabungssaison die Hauptfunde. Fossile Säugetiere wie das 2015 ausgegrabene Urpferdchen oder das sensationelle, 2009 beschriebene Primatenfossil „Ida“ gab es an der Stelle, an der diesmal gegraben wurde, nicht. Insgesamt habe man bisher auf einer Strichliste mehr als 10 000 Funde erfasst, die es jedoch nicht ins Grabungsprotokoll schafften. Dort sind nur 1100 Funde eingetragen. „In der Strichliste werden etwa isolierte Schuppen, Teile von Insektenbeinen oder von Pflanzen erfasst“, erklärt die Paläontologin. „Die können wir nicht alle bergen.“
Die diesjährige Grabungsstelle liegt am Rand der Grube. „Wir graben einen Hang hinunter, 2,3 bis 1,8 Meter über dem Leithorizont Alpha“, sagt Wedmann. Leithorizonte sind Schichten, die andersfarbig sind als der dunkelbraune Ölschiefer. In diesem Fall „hellgrau und ein bis zwei Millimeter dünn“.
Die Teams stechen im Hang Ölschieferblöcke ab, die etwa zwei mal zwei Meter groß und einen halben Meter mächtig sind, vermessen die Blöcke mittels GPS-Gerät und tragen dann schichtweise den Ölschiefer ab. „Im Frühjahr haben wir mit Ölschieferblock Nummer 1 begonnen. Jetzt sind wir schon bei Block Nummer 13“, sagt sie.
Ein Mitarbeiter schafft mit einer Kettensäge Ansatzstellen zum Abbau des Ölschiefers. Viermal am Tag werden so aus dem Block große Platten herausgelöst, die aus der Grabungsstelle gehoben und sofort unter Zeltplanen transportiert werden, wo Spritzflaschen zum Benässen bereitstehen. „Wenn Ölschiefer trocknet, zerfällt er in kleine Stücke und die Fossilien zerfallen mit“, sagt Wedmann. Ölschiefer enthält nämlich bis zu 40 Prozent Wasser. „Wir holen immer nur so viel, dass er nicht austrocknet.“
Etwa eineinhalb Stunden hat das Grabungsteam dann Zeit, um mit großen Fleischermessern in den Ölschiefer zu stechen und ihn in flächige Schichten aufzuspalten, die nur wenige Millimeter stark sind. „Der Ölschiefer ist wie Zartbitter-Blockschokolade, die man schneidet“, erklärt die Grabungsleiterin.
Größere Funde werden in feuchtes Zeitungspapier gewickelt und kommen in eine Plastiktüte. Kleinere Funde wandern in eine mit Wasser gefüllte und mit der Befundnummer versehene Plastiktüte und dann in einen Wassereimer. In der Forschungsstation an der Grube werden sie bis zur Präparation gelagert. (Annette Schlegl)
Einen spektakulären Fund vermeldeten die Forscher von der Grube Messel im vergangenen Jahr.