Enzyme sorgen im Organismus dafür, dass Reaktionen den Turbogang einlegen. Auch die Medizin nutzt die flinken Moleküle: Hoch dosiert eingenommen, sollen sie Entzündungen schneller abklingen und Prellungen schneller abschwellen lassen, und bei Krebspatienten sogar die Nebenwirkungen von Chemo- und Strahlentherapie lindern. Was ist dran an diesen Behauptungen?
Ohne Enzyme läuft im Organismus nichts: In Mund, Magen und Darm zerhacken sie Nährstoffe in ihre Bestandteile, das Immunsystem nutzt sie, um Krankheitserreger unschädlich zu machen, bei Verletzungen sorgen sie für sofortige Gerinnung des Blutes. Vermutlich gibt es mehr als 20 000 verschiedene Enzyme, von denen jedes eine bestimmte Reaktion anschiebt – wie ein Schlüssel, der in nur ein Schloss passt. Manche sind für die Spaltung von Molekülen zuständig, andere verknüpfen Moleküle, wieder andere transferieren Verbindungen vom einen auf ein anderes Molekül.
Auch die Medizin nutzt Enzyme seit langem: In den 30er Jahren begann der österreichische Wissenschaftler und Arzt Max Wolf, mit Enzymen zu experimentieren – zuerst an bösartigen Tumoren, später setzte er sie gezielt gegen Viren, Entzündungen und Schmerzen ein. Aus seinen Erfahrungen entwickelte sich die „systemische Enzymtherapie“: Darunter versteht man die Einnahme Eiweiß spaltender Enzyme, die mit einer Schutzschicht überzogen sind, um die empfindlichen Substanzen vor dem aggressiven Magensaft zu schützen. Aus dem Dünndarm gelangen die Enzyme ins Blut, und dort sollen sie den Heilungsprozess ganz unterschiedlicher Krankheiten ankurbeln.
Zum Einsatz in Präparaten kommen hauptsächlich Gemische aus pflanzlichen und tierischen Enzymen:
• Bromelain aus dem Strunk reifer Ananasfrüchte,
• Papain aus dem Milchsaft des Melonenraums,
• Chymotrypsin aus der Bauspeicheldrüse von Rindern sowie
• Trypsin und Pankreatin aus der Bauchspeicheldrüse von Schweinen. Chymotrypsin und Trypsin finden sich als inaktive Vorstufen auch im Bauchspeichelsaft beim Menschen. Um die Bauchspeicheldrüse vor Selbstverdauung zu schützen, werden sie erst in der Dünndarmschleimhaut aktiviert und knacken dort die Proteine aus der Nahrung.
Pankreatin dagegen ist eine Enzymkombination, die dem natürlichen Enzymmuster des menschlichen Bauchspeichels weitgehend gleicht. Normalerweise produziert die Bauchspeicheldrüse genügend Enzyme, die nach dem Essen in den Dünndarm gelangen und dort Kohlenhydrate, Eiweiße und Fette in ihre Bestandteile zerlegen. Bei Patienten mit einer Verdauungsschwäche kann die Bauchspeicheldrüse jedoch in ihrer Funktion gestört sein und zu wenig Enzyme bilden. Dies äußert sich in Beschwerden wie Völlegefühl und Blähungen. In diesen Fällen können Präparate mit Pankreatin helfen, die Verdauung zu normalisieren.
Das Einsatzgebiet der Enzympräparate geht allerdings weit über die Verdauungsschwäche hinaus: Sie werden vor allem bei Entzündungen, bei Sportverletzungen, Venenleiden, Rheumaerkrankungen und in der Krebstherapie eingesetzt.
Die nun schon seit Jahrzehnten angewandte Enyzmtherapie hat allerdings nicht nur Anhänger. Kritiker bezweifeln, dass Enzyme intakt und in ausreichender Konzentration ins Blut gelangen, und falls doch, das Immunsystem diese körperfremden Eiweiße sofort funktionsunfähig macht. Außerdem gäbe es kaum aussagekräftige Studien, die ihre Wirksamkeit beweisen. Trotz dieser Kritik haben sich Enzympräparate fest etabliert: Immerhin nehmen sie rund zwei Millionen Deutsche pro Jahr ein.
Lange Zeit war die Enzymtherapie pure Erfahrungsheilkunde. Heute gibt es Erklärungsmodelle über die Wirkmechanismen von Enzymen: Vermutlich greifen sie regulierend in Immun- und Entzündungsprozesse ein und spielen für ein schlagkräftiges Abwehrsystem eine wichtige Rolle. Enzyme sollen den Ablauf einer Entzündung beschleunigen und so zur vollständigen Ausheilung beitragen. Ärzte, die hinter Enzympräparaten stehen, setzen diese daher bei verschiedenen Krankheiten ein, die mit Entzündungen einhergehen – angefangen bei Entzündungen der Nasennebenhöhlen, der Atemwege, der Harnwege, der Haut, der Gelenke oder der Venen.
Gerade bei Venenerkrankungen – seien es oberflächliche oder innere Krampfadern – spielen Entzündungen eine unselige Rolle: Die Venen sind ausgeleiert, sie werden durchlässiger und eiweißreiche Flüssigkeiten sammeln sich im Gewebe. Die Folge sind Entzündungen im Unterhautfettgewebe, die Schmerzen und ein Druckgefühl in den Beinen verursachen. Dr. Dagmar Berg, leitende Ärztin der Gefäßklinik in Ulm-Blaustein, arbeitet seit 25 Jahren mit Enzymen. Ihre Erfahrungen: „Enzyme lindern die Stauungszustände in den Beinen, reduzieren die Schmerzen und das Gefühl des schweren Beines. Allerdings darf man nicht erwarten, dass Krampfadern durch Enzyme verschwinden oder Venenerkrankungen schneller heilen“. Wie bei vielen anderen Einsatzgebieten der Enzyme fehlen jedoch auch bei den Venenerkrankungen wissenschaftliche Beweise: „Klinisch hat man manchmal damit Erfolg. Das Problem ist nur, dass es weltweit keine einzige positive Studie zu diesem Thema gibt“, so Professor Dr. Curt Diehm, Vorsitzender der Deutschen Gefäßliga.
Einen festen Platz haben Enzyme mittlerweile in der Sportmedizin. Ob Bluterguss, Prellung oder Verstauchung – Enzyme helfen beim Abklingen der Schwellung und bei der Beseitigung des geronnenen Blutes aus der Haut und Unterhaut. Mit der Schwellung lassen auch die Schmerzen nach, weil der Druck auf das Gewebe geringer wird. Dies gilt vor allem für das Enzymgemisch aus der Ananas, das Bromelain: Seit 1997 ist es als Arzneimittel bei Schwellungszuständen nach Operationen oder Verletzungen zugelassen. „Es gibt immer mehr Studien, die zeigen, dass Bromelain bei Schwellungen ähnlich gut wirkt wie nicht steroidale Antiphlogistika – nur ohne Nebenwirkungen auf den Magen“ sagt der Freiburger Sportmediziner Professor Aloys Berg. Eine mögliche Erklärung für die Wirkung der Proteasen ist: Sie regen im Rahmen einer Immunmodulation Prozesse wie Abräumvorgänge und die Aktivierung von Zyokinen an, beschleunigen dadurch die Entzündung und schieben den Heilungsprozess an. Herkömmliche Schmerzmittel dagegen blockieren den Entzündungsprozess.
Auch bei Zahnoperationen werden Enzyme mittlerweile eingesetzt. Eine Studie zeigte, dass die mit Enzymen behandelten Patienten nach Extraktion eines Weisheitszahnes nach zwei bis drei Tagen schon wieder beschwerdefrei essen konnten – was sonst zehn bis zwölf Tage dauert.
Enzyme sollen sogar Krebspatienten helfen: Dem Arbeitskreis pro Enzyme zufolge verringern sie zum Beispiel die Nebenwirkungen einer Strahlenund Chemotherapie. Ziel ist, das Immunsystem schneller wieder zu stärken. Ob das tatsächlich funktioniert, ist allerdings fraglich. „Solche Behauptungen müssen heute durch gut gemachte klinische Studien bewiesen werden, und davon gibt es zu den Enzymen sehr wenige“, sagt Dr. Gerd Büschel, Mitglied der Arbeitsgruppe Biologische Krebstherapie in Nürnberg.
„Deshalb gehören Enzyme in der Krebsmedizin zu den umstrittenen Arzneimitteln, und die Krankenkassen erstatten die Kosten dafür in der Regel nicht“, so Büschel weiter.
Enttäuschend endete eine große klinische Studie an über 300 Patienten, die zwei Jahre lang den Nutzen einer Enyzmtherapie bei Multipler Sklerose untersucht hatte. Patienten, die Enzympräparate einnahmen, hatten gegenüber den Patienten mit dem Scheinpräparat keinen Benefit: Schubhäufigkeit, Behinderungsgrad und die Zeit bis zum nächsten Schub waren bei beiden Gruppen gleich.
Dorothee Hahne Am Schmidtgrund 4 50765 Köln
Zum Abnehmen sind Enzyme übrigens völlig ungeeignet. Zwar enthalten auch Nahrungsmittel Enzyme, etwa exotische Früchte wie Ananas, Papaya, Feigen oder Kiwi. Den ätzend sauren Magensaft überleben sie allerdings nicht: Wie alle Eiweißverbindungen zerlegt er auch die Enzyme in ihre Bestandteile und macht sie damit unwirksam.
Versprechungen wie die der „Hollywood-Diät“, mit Enzymen aus tropischen Früchten abzunehmen, gehören daher ins Reich der Märchen. Zudem ist es kaum vorstellbar, wie Eiweiß spaltende Enzyme Fett verbrennen sollen. Dasselbe gilt für Kapseln oder Tabletten mit tropischen Fruchtextrakten, die als Nahrungsergänzungsmittel zur Förderung der Verdauung, zur „Entschlackung“ oder zum Abnehmen angeboten werden: „Sie sind in ihrer Wirkung sehr umstritten, weil es unwahrscheinlich ist, dass sie am Wirkungsort eintreffen“, so die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Fazit: Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise für einen Verdauung fördernden oder Gewicht reduzierenden Effekt von Enzymen.
Enzyme sind nicht nur im Organismus und in der Medizin Multitalente. Sie sind auch für viele technische Anwendungen interessant, weil sie effektiv, präzise und schnell arbeiten, dazu aber weder Lösungsmittel, Hitze oder Druck benötigen. Eine große Rolle spielen sie bei der Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln. Sei es die Reifung von Käse, die Klärung trüber Obstsäfte oder die Haltbarmachung von Majonäse – immer mischen Enzyme mit. Wichtig sind zum Beispiel die Amylasen. Sie werden gerne bei Hefebackwaren eingesetzt, da sie die Stärke vorab zerschneiden, was die Hefen zu Höchstleistungen bringt: Das Gebäck geht dann optimal auf. In Fruchtsäften bauen Amylasen stärkehaltige Trübstoffe ab, und Schnäpse, die aus Kartoffeln oder Getreide hergestellt werden, müssen ebenfalls erst die Scheren der Amylasen passieren, bevor sie zu Alkohol vergoren werden.
Enzymen sei dank wird auch die Wäsche porentief rein. Fast alle Markenwaschmittel enthalten die kleinen Helfer, denn sie knacken Stärke-, Fett- und Eiweißflecken. Bei der Lederverarbeitung werden Enzyme zum Beizen, Entwollen und Enthaaren gebraucht, in der Textilindustrie zur Veredelung von Stoffen, die Papier- und Zellstoffindustrie nutzt Enzyme zur Bleichung.
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